Das waren die Tiefpunkte 2023
Ihr Lieben,
auch in diesem Jahr habe ich mir vorgenommen, die Zeit zwischen den Feiertagen und dem neuen Jahr zu nutzen, um einen kleinen Blick zurück zu werfen. Innerhalb meiner Vorbereitung schaute ich mal in den Jahresrückblick 2022 und musste erschreckend feststellen, dass die Tiefpunkte sich an einigen Punkten gleichen.
Wie schon 2022 haben sich die Übergriffe auf queere Menschen erhöht. So ist es unfassbar, dass in Sachsen-Anhalt besonders Teilnehmende der CSDs betroffen waren. Körperliche Angriffe und verbale Entgleisungen geschahen in fast allen CSD-Städten. Die Hetze in den sozialen Medien, die unwidersprochenen körperlichen Bedrohungen auf der Straße und der zunehmende Rechtsruck in der Gesellschaft sind der Nährboden dieser Übergriffe.
Die AfD radikalisiert sich weiter. So hat die Partei im Juni den sogenannten "Stolzmonat" ausgerufen, um massiv in den sozialen Medien Stimmung gegen LGBTIQ*-Menschen zu machen. Die AfD schreit unverblümt ihre Missachtung heraus. Die Zwischenrufe der AfD-Abgeordneten im Landtag von Sachsen-Anhalt sind protokolliert und zeigen deutlich, wessen geistiges Kind sie sind. Sie lehnen jegliche Bildung in diesem Bereich ab. Sie wollen, dass anders fühlende und anders lebende Menschen wieder Angst haben, weil sie wegen der fehlenden Bildung nicht abschätzen können, dass sie so normal wie die anderen sind. Sie wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Dabei spielt es keine Rolle, dass ihre Vorsitzende ein Familienmodel lebt, was ihre eigene Partei ablehnt. Sie selbst sagte in einem Interview, sie sei nicht queer. Sie sei scheinbar nicht einmal lesbisch, da sie ja nur mit einer Frau zusammenlebt. Diese Logik muss ich nicht verstehen und die damit verbundene eigene Ablehnung auch nicht.
Nicht nur der rechte Rand formiert sich. Auch Links gibt es Töne, die mir Sorgen bereiten. Sarah Wagenknecht ist aus Der Linken ausgetreten, um eine eigene Partei zu gründen. Bereits 2021 betielte sie LGBTIQ*-Menschen als "skurille Minderheiten" und 2018 deutete sie an, dass Minderheitenschutz ein "Wohlfühl-Label" sei. Von ihrer Partei ist dann wohl keine queerfreundliche Politik zu erwarten. Auch andere Parteien pfeifen in einem ähnlichen Rohr. So hat Hessen und Bayern ein Genderverboteangekündigt. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bestehen entsprechende Verbote. Alle Befürworter dieser Verbote sind sich einig darin, dass sie Sprechgebote (die es gar nicht gibt) nicht wollen. Sie wollen also nicht, dass andere ihnen vorschreiben, wie sie sprechen und schreiben sollen, verbieten es dann aber genau denen, den sie unterstellen Verbote praktizieren zu wollen. Wo genau ist da jetzt der Unterschied? Ich werde dennoch versuchen in meiner Sprache so inklusiv wie nur möglich zu sein. Egal, ob das andere mir verbieten wollen. So sollte das auch Politik sehen und nicht mit Verboten kommen.
Ein weiterer Tiefpunkt war das von der Bundesregierung vollmundig angekündigte und im Koalitionsvertrag vereinbarte Selbstbestimmungsgesetz. Endlich sollten es Fortschritte für trans-, inter- und nonbinäre Menschen geben. Die Folge war leider eine mittlere Katastrophe. Innerhalb der Diskussionen zum Gesetzesvorhaben, nachdem es mit hängen und würgen ein Gesetzentwurf gab, führten zu unglaublichen verbalen Entgleisungen. Allen voran AfD-Frauen, die Transfrauen ihre geschlechtliche Identiät aberkennen und sie öffentlich diffamieren. Transfrauen rückten in den Mittelpunkt queerfeindlicher Aktivitäten und waren die Sündenböcke für einfach alles.
Mehr als 350 Vereine, Fachverbände und Fachmenschen kritisieren den unzureichenden Gesetzesentwurf der Koalition und haben eine Petitionmit 15.000 Unterschriften übergeben.
Gefreut habe ich mich darüber, dass es in diesem Jahr eine Menge CSDs in unserem Bundesland gab. Den Auftakt machte der CSD in Schönebeck im April. Leider musste wir diesen aus Protest verlassen, da uns mitgeteilt wurde, dass der Veranstalter (CSD Magdeburg e.V.) den LSVD Sachsen-Anhalt e.V. vom Stadtfest ausschloss. Der LSVD durfte keinen Stand aufbauen. Wir stehen aber auf keinem CSD, wo der Veranstalter einen Teil der queeren Communty ausschliesst.
Nachdem wir noch am gleichen Tag gefragt wurden, warum wir so früh abbauten, haben wir dazu eine Erklärung über unseren Newsletter abgegeben. Diese Erklärung zog eine Klage des CSD Magdeburg e.V. am Landgericht nach sich, der mir und damit uns verbieten wollte die Wahrheit zu schreiben. Dabei blieb es aber nicht. Der CSD Magdeburg e.V. hat uns dann zwei Monate später auf dem CSD in Wernigerode einen Platzverweis erteilt. Die Security kam nach einer guten halben Stunde auf uns zu und teilte uns mit, dass wir sofort den Platz zu verlassen haben, weil der Veranstalter uns hier nicht wünscht. Später und nur auf schriftlicher Nachfrage unseres Vorstandes wurde uns mitgeteilt, dass der Grund eine Auflage bzw. Abstimmung mit dem Ordnungsamt war, wo "Bauchläden", die wir in Wernigerode nutzten, ein Sicherheitsrisiko darstellen sollen. Das Ordungsamt selbst hat uns allerdings schriftlich mitgeteilt, dass es kein Verbot von Bauchläden gab.
Ich hoffe sehr, dass im nächsten Jahr weder der LSVD Sachsen-Anhalt e.V. von einem CSD des CSD Magdeburg e.V. ausgeschlossen wird, noch wir vom Platz geschmissen werden.
Mitten in der CSD-Saison keimte die Hoffnung auf, dass die bisher geltende diskriminierende Praxis in der Blutspende der Vergangenheit angehört. Zumindest hat der Bundestag ein neues Transfusionsgesetz beschlossen. Doch die Bundesärztekammer machte alles nur noch schlimmer. Sie hat es nicht nur geschafft die meisten schwulen Männer wieder auszuschliessen, ohne dies klar zu bennen, sondern auch potentielle Spender*innen von der Blutspende abzuhalten, hier: heterosexuelle Männer. Was für eine negative Glanzleistung.
Mein letzter Blick geht in die weite Welt. Ende Mai tritt in Uganda eines der unmenschlichsten Gesetze bezüglich LGBTIQ* in Kraft. Es verbietet alle sexuellen Handlungen zwischen Menschen des gleichen Geschlechts und deren "Förderung" bzw. "Anerkennung". Es drohen lange und lebenslange Freiheitsstrafen bis hin zur Todesstrafe. Internationale Proteste haben leider nichts gebracht.
Vor einigen Tagen zog das Oberste Gericht in Russland nach und stufte die LGBTIQ*-Community als "extremistisch" ein. Dieses Urteil verbietet damit jeglichen Aktivismus für die Rechte der Community. Die Folgen sind dramatisch und der russische Staat zeigte nur ein paar Tage nach dem Urteil, wie schnell er es umzusetzen gedenkt: es gab u.a. in St. Petersburg und Moskau Razzien und Verhaftungen.
Dieses Jahr macht mich in der Retrospektive unendlich traurig.
Traurig möchte ich das neue Jahr aber nicht beginnen. Daher mal was tolles: Im Oktober feierte die Deutsche Aidshilfe e.V. (DAH), unser Bundesverband, ihr 40 jähriges Bestehen. Auch die DAH-Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU hatte ihren 15. Geburtstag. Ihnen allen haben wir nicht nur tolle Materialien, Statements und Präventionsaktivitäten zu verdanken. Sie sind mit uns zusammen ein Teil der sehr erfolgreichen Präventionslandschaft in Deutschland, die massgeblich am Erfolg der HIV-/Aids-Prävenion beigetragen haben. Darauf bin ich nicht nur als Geschäftsführer unseres Landesverbandes und als Geschäftsführer der Aidshilfe Sachsen-Anhalt e.V. stolz, sondern auch als Mitglied des Bundesvorstandes der Deutschen Aidshilfe e.V.
Ich wünsche euch eine tollen Rutsch in ein gesundes, friedliches und sexuell aktives neues Jahr.
Euer Sven
Sven Warminsky
- Geschäftsführer
Teilen auf